06.12.2009: Dr. Heike Springhart über Jak 5,7-8

Predigt über Jak 5,7-8

Universitätsgottesdienst Peterskirche Heidelberg - 06.12.2009 (2. Advent)

Dr. Heike Springhart

 

 

Zweierlei Warten

Liebe Gemeinde,

eine dunkle, schwarze Bühne – rechts und links im Finstern zwei Männer, grau und fahl gekleidet. Sie schauen einander an. Immer wieder derselbe Dialog:

„Komm, wir gehen.“

„Wir können nicht.“

„Warum nicht?“

„Wir warten.“

„Ach ja.“

 

Die beiden Landstreicher Wladimir und Estragon warten und wissen nicht worauf. Godot – so lässt der Autor Samuel Beckett sie sagen. „Wir warten auf Godot.“

Das Eigentliche aber ist nicht Godot, das Eigentliche ist dies: „Wir warten.“ Am Ende jedes Aktes werden sie vertröstet, weil Godot nicht erscheint. Bis zuletzt nicht.

Wladimir und Estragon warten ins Leere, ohne Perspektive und Hoffnung. „Warten auf Godot“ ist ein Drama über die Leere und Sinnlosigkeit des perspektivlosen Wartens. Godot ist gesichtslos und formlos.

Das Warten wird lang und der Atem dünn. In Estragons „Ach ja.“ liegt die komplette Perspektivlosigkeit dieses Wartens. Ein Anti-Adventsstück. Obwohl es ums Warten geht.

 

Ein Adventsstück über das Warten und die Geduld ist die Epistel zum 2. Advent aus dem Jakobusbrief. Ich lese diese Verse frei nach der Übersetzung von Klaus Berger und Christiane Nord [Jak 5,7-8]:

 

Brüder und Schwestern! Seid geduldig bis zur Wiederkunft des Herrn. Auch der Bauer muss geduldig warten, bis der Boden wertvolle Früchte hervorbringt, auf Frühregen und auf Spätregen. Übt auch ihr euch in Geduld! Schöpft Kraft für eure Herzen. Denn die Wiederkunft des Herrn ist nahe.

 

Seid geduldig! Inflationär düdelt uns das bei nahezu jedem Anruf einer Servicehotline entgegen: „Wir bitten Sie um ein wenig Geduld.“ Geduld, so scheint es, kann jeder jederzeit von uns verlangen.

Aber mit der Geduld ist das so eine Sache. Wenn nämlich das, worauf wir warten und hoffen in unsäglicher Ferne liegt, wenn uns gar Sorgen um das eigene Leben und die Gesundheit an die Nieren gehen, sind Appelle zur Geduld geradezu verletzend. Da wird ein aufmunternd gemeintes „Du musst halt ein bisschen Geduld haben.“ am Krankenbett zum Schlag ins Gesicht und zum hörbaren Zeichen einer vor lauter Hilflosigkeit zugeschlagenen Tür. Wenn das Leid zum Himmel schreit, dann wird der Aufruf zur Geduld leicht zynisch.

Zur Geduld können wir allenfalls ermutigt werden und uns ermutigen lassen, verordnen lässt Geduld sich nicht.

 

Auch der Verfasser des Jakobusbriefs schreibt seinen Lesern und uns keine billige Durchhalteparole ins Stammbuch. Die Kraft der Ermutigung zur Geduld wie sie in den Worten des Briefschreibers zum Ausdruck kommt, speist sich von der glaubenden Gewissheit, dass der Herr wiederkommt. Dass das Reich des Friedens und der Versöhnung keine unwirkliche Utopie und Beruhigungsdroge sind, sondern konkrete Hoffnung.

 

Zwar werden die meisten von uns längst nicht mehr mit der unmittelbar nahen Wiederkunft Christi rechnen. Aber alle Jahre wieder lenkt die Adventszeit unsere Aufmerksamkeit darauf, dass alles Einrichten in dieser Welt, alles Planen, alles Strukturieren und Politisieren nur vorläufig ist.

Das wachsende Licht der Adventskranzkerzen und die Beleuchtung der Straßen weckt etwas von der Sehnsucht nach der schwindenden Nacht in uns. Etwas von der Hoffnung, dass diese Zeit an ein Ziel kommen wird. Dass der Tag nicht mehr fern ist.

 

Sehnendes Warten – das ist Geduld. Wenn die Zeitspanne bis zum Ziel überschaubar ist, können wir die Zeit und das Warten strukturieren und in erträgliche Häppchen verwandeln.

Das wissen alle, die Tag für Tag ein Türchen an ihrem Adventskalender öffnen – und ein Blick in die Süßwarenabteilungen verrät, dass es solche Kalender längst nicht mehr nur für die Kinder gibt.

Das wissen alle, die irgendwo auf ihrer Homepage einen Countdownzähler eingebaut haben und die die Tage bis zur Fußball-WM oder auch bis zur Geburt ihres Kindes elektronisch zählen lassen.

Und das wissen alle To-do-Listen-Schreiber: was aufgeschrieben und geplant ist, ist fast schon erledigt und gerät jedenfalls nicht in Vergessenheit.

Nicht zuletzt die vier Kerzen des Adventskranzes sind ein Versuch, die Adventssonntage und das Warten auf Weihnachten zu strukturieren und der Geduld aufzuhelfen.

 

Es dauert nicht mehr lang – die Wiederkunft des Herrn ist nahe. Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht. In dieser Verheißung liegt die Ermutigung zur Geduld als Grundhaltung des Glaubens.

Geduld im tiefen und eigentlichen Sinne hat ihren Grund darin, dass sie vom Ende her denkt. Der Geduldsfaden ist gespannt zwischen dem Ende dessen, was verheißen ist und unserer Gegenwart. Wie lang diese Strecke und dieser Faden ist, wissen wir nicht. Aber es geht um langen Atem und Ausdauer, um Langmut. Der Bauer wartet geduldig, weil er weiß: irgendwann wird der Regen das Feld bewässern, irgendwann wird die Saat aufgehen, irgendwann wird die Ernte eingebracht werden können.

An dieser Geduld sollen wir uns ein Beispiel nehmen.

Diese Geduld speist sich aus der konkreten Hoffnung und sie hilft, mit ungestillten Sehnsüchten und Hoffnungen zu leben oder leben zu lernen.

Solche Geduld überpinselt nicht alle Erfahrungen, die uns zweifeln lassen, ob es irgendwann überhaupt noch ein gutes Ende nehmen wird. Solche Geduld ist vielmehr Ausdruck einer Haltung, die wahrnimmt und ernst nimmt, dass es eine mitunter schmerzliche Spannung gibt zwischen dem, wie es sein soll und dem wie es ist. Eine Spannung zwischen dem, was uns verheißen ist und dem, was ist.

Schöpft Kraft für eure Herzen! Geduld, Langmut und Ausdauer verlangen uns viel ab. Aus uns selbst heraus haben wir diese Kraft nicht. Jedenfalls nicht immer.

Das hebräische Pendant zu der hier ausgesprochenen Ermutigung zur Geduld bringt einen theologisch entscheidenden Aspekt ins Spiel: geduldig sein heißt dort „den Atem verlängern“ – es geht also um eine Tätigkeit Gottes, der die Zeitspanne und den dazu nötigen langen Atem verleiht. Darum können und müssen wir bitten – und wie oft machen wir die Erfahrung, dass uns der Atem der Geduld kurz wird.

Dann bricht sich leidenschaftliche Ungeduld Bahn und die drängende Bitte und das klagende Flehen des Jesaja wird zu unserem Adventsruf: Ach, dass du den Himmel zerrissest und führest herab! (Jes 63, 19) O Heiland, reiß die Himmel auf!

 

Geduld im Sinne des Jakobusbriefes bedeutet nicht einfach Warten, sondern Erwarten. Mitunter drängend, flehend, aber auch voller Vorfreude. Freudige Erwartung dessen, was kommt, das hat etwas damit zu tun, dass es schon hier und heute einen Vorgeschmack dafür gibt. Ob das nun ein Versucherle von den Plätzchen ist oder ein entspannter Abend mitten im Examensstress – eine Ahnung davon, was kommen wird.

Jede Adventszeit ist ein Vorgeschmack auf den großen Advent, in dem wir leben. Jedes Weihnachtsfest ist ein Vorgeschmack auf die Wiederkunft Gottes in die Welt.

Die Vorfreude auf das Kommen Gottes geht nicht ins Leere wie das haltlose und verzweifelte Warten von Wladimir und Estragon. Die Vorfreude auf das Kommen Gottes ist gespeist aus dem Kommen Gottes, das die Welt schon einmal gesehen hat, damals im Stall von Bethlehem.

Seit damals hat unsere Hoffnung eine Richtung und unsere Sehnsucht ein Ziel. Jenseits aller billigen Vertröstungen kommt uns aus dem ärmlichen Stall Trost und Zuversicht auf Menschlichkeit und Wärme zu.

Wir ahnen es, dass die Nacht unserer Ängste,

die Nacht unserer Verzweiflung,

die Nacht unserer Fragen, ob alles je zu einem guten Ende kommen wird,

dass diese Nacht schon vorgedrungen ist und dass der Tag nicht mehr fern ist. Dass mit dem Advent das Licht einzieht auch in unser ungeduldiges Getriebensein.

 

Wo Wladimir und Estragon einfach nur warten – da erwarten wir das Kommen Gottes in diese Welt.

Wo Wladimir und Estragon gelangweilt ins Leere starren – da leben wir aus der Leidenschaft fürs Leben und in Langmut.

 

Wo Wladimir und Estragon lässig die Zeit verstreichen sehen – da werden wir erfüllt von einer Gelassenheit, die alle Zeiten des Lebens ertragen, erdulden und erleben lässt.

 

Im Licht des Advents wird aus dem resignierten „Ach ja“ Estragons die freudige Erwartung und die Hoffnung darauf, dass Gott nicht so fern ist wie es manchmal scheint.

 

Ach ja!

Amen.

 

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Letzte Änderung: 29.10.2013