09.08.2009: Dr. Heike Springhart über Mt 25, 14-30
Predigt über Matth. 25, 14-30
im Universitätsgottesdienst am 9. August 2009 (9. So.n.Trin.)
in der Peterskirche
Predigerin: Dr. Heike Springhart (Wiss.-theol. Seminar)
Liebe Gemeinde,
„Es regnet immer dorthin, wo es schon nass ist.“
So sagen die, die mehr oder weniger seufzend wieder einmal das sogenannte Matthäusprinzip geortet haben. Die wieder einmal festgestellt haben: wer gut verdient in diesem Land, bei dem steigen die Löhne eher als bei denen, die wenig verdienen. Die festgestellt haben: kaum sind die Rauchschwaden der Finanzkrise verzogen, sind die Bonuszahlungen an die, die sie zu verantworten haben, schon wieder oben auf.
Und wenn man in den Wochen und Monaten der Finanzkrise die Schlagzeilen der Tageszeitungen gelesen hat, dann bestanden die nicht selten in dem Satz: Wer hat, dem wird gegeben.
Wahrscheinlich gibt es kaum einen anderen Satz aus einem Gleichnis Jesu, der es ähnlich oft in die Schlagzeilen geschafft hat.
Hören wir heute dieses Gleichnis, das dem Matthäusprinzip seinen Namen gegeben hat (Mt 25,14-30):
Es ist wie mit einem Menschen, der außer Landes ging:
Er rief seine Knechte und vertraute ihnen sein Vermögen an;
dem einen gab er fünf Zentner Silber,
dem andern zwei, dem dritten einen - jedem nach seiner Tüchtigkeit -
und zog fort.
Sogleich ging der hin, der fünf Zentner empfangen hatte, und handelte mit ihnen und gewann weitere fünf dazu.
Ebenso gewann der, der zwei Zentner empfangen hatte, zwei weitere dazu.
Der aber einen empfangen hatte, ging hin, grub ein Loch in die Erde und verbarg das Geld seines Herrn.
Nach langer Zeit kam der Herr dieser Knechte und forderte Rechenschaft von ihnen.
Da trat herzu, der fünf Zentner empfangen hatte, und legte weitere fünf Zentner dazu und sprach: Herr, du hast mir fünf Zentner anvertraut;
siehe da, ich habe damit weitere fünf Zentner gewonnen.
Da sprach sein Herr zu ihm: Recht so, du tüchtiger und treuer Knecht,
du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude!
Da trat auch herzu, der zwei Zentner empfangen hatte, und sprach:
Herr, du hast mir zwei Zentner anvertraut; siehe da, ich habe damit zwei weitere gewonnen.
Sein Herr sprach zu ihm: Recht so, du tüchtiger und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude!
Da trat auch herzu, der einen Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist: Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast;
und ich fürchtete mich, ging hin und verbarg deinen Zentner in der Erde.
Siehe, da hast du das Deine.
Sein Herr aber antwortete und sprach zu ihm: Du böser und fauler Knecht!
Wusstest du, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, wo ich nicht ausgestreut habe?
Dann hättest du mein Geld zu den Wechslern bringen sollen, und wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine wiederbekommen mit Zinsen.
Darum nehmt ihm den Zentner ab und gebt ihn dem, der zehn Zentner hat.
Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben;
wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden.
Und den unnützen Knecht werft in die Finsternis hinaus;
da wird sein Heulen und Zähneklappern.
Eigentlich eine unsägliche Geschichte. Da vertraut ein Herr seinen Knechten sein Vermögen an und geht außer Landes. Über einen Auftrag oder auch nur eine Bitte, die er den Knechten mitgegeben hat, erfahren wir nichts. Er teilt sein Vermögen auf – und ist dann mal weg.
Und die drei stehen da mit ihrem Vermögen, reagieren jeder auf seine Weise, jeder nach seinen Fähigkeiten. Der erste handelt mit seinen fünf Talenten und verdoppelt sein Vermögen.
Auch das Vermögen des zweiten Knechts verdoppelt sich – wir erfahren nicht wie.
Und der dritte macht genau das, was zumindest für einen Bauern jener Zeit das Übliche war: er verwahrt das Vermögen sicher, er hortet seinen Schatz und vergräbt ihn in einem Loch in der Erde.
Und am Ende wird dem vorsichtigen Knecht auch noch das genommen, was er so sorgsam verwahrt hat. Mehr noch, er wird mit harten Worten gescholten.
Für uns, die wir an Begriffe wie Wertpapiere und Rentenfonds mehr oder weniger gewohnt sind, mag das Verhalten der ersten beiden Knechte das völlig selbstverständlich Naheliegende sein. Wenn man schon eine große Summe einfach so zur Verfügung bekommt, dann soll das Geld sich doch vermehren und arbeiten, sinnvoll angelegt sein eben.
Auf den ersten Blick klingt dieses Gleichnis nach dem gewohnt nüchternen Blick Jesu auf die Welt wie sie ist. Auf den Blick darauf, dass wir längst verinnerlicht haben, dass es darum geht, etwas aus dem Leben zu machen. Sich selbst zu verwirklichen, ein Leben zu leben, das aus dem Vollen der Möglichkeiten schöpft, das sich orientiert an dem, was forever young und fit hält, was dem wissenschaftlichen und persönlichen Fortkommen dient, was uns einen Platz sichert in der Forschungslandschaft und im Seminarbetrieb. Stets das Examen im Blick, immer up to date und immer rege wuchernd mit den Talenten, die uns gegeben sind.
Wir haben sie verinnerlicht, die heimlichen Appelle daran, etwas aus unserem Leben zu machen und selbst wenn es ans Sterben geht, soll dies dann bitte auch gelingen, im Einverständnis, in schöner Atmosphäre, begleitet und sanft.
Und in der Tat geht es auch in diesem Gleichnis darum, etwas aus dem zu machen, was mir in die Hand gelegt wird. Nicht einfach zu verbuddeln, was sich mir an Leben und Möglichkeiten bietet, sondern meine Talente zu nutzen, meine Stärken zu pflegen und zu entwickeln. Aber: es geht auch und vor allem um die Haltung, mit der dies geschieht.
Das Anstößige dieses Gleichnisses besteht ja darin, dass der Knecht, der sich völlig üblich verhalten hat, aufs Schärfste kritisiert wird. Er hat sich an das Tora-Verbot des Zinsnehmens gehalten – und wird doch dann von seinem Herrn genau dazu aufgefordert: Du hättest mein Geld zu den Wechslern bringen sollen, und wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine wiederbekommen mit Zinsen. Und spätestens hier wird deutlich: es geht nicht um eine Anleitung zum rechten Wirtschaften. Um einen christlichen Geist des Kapitalismus gar.
Auch dieses Gleichnis ist ein Gleichnis für den zweiten Blick. Eines, das anstößig und kantig auf das Reich Gottes hinweist.
Wagen wir einen zweiten Blick.
Da ist die Ursprungssituation: der Herr ist abwesend, außer Landes, freilich nicht ohne sein Vermögen hinterlassen zu haben. Aber er ist weg. Die Knechte sind wie wir ihrer eigenen Entscheidung überlassen, was sie mit dem tun, was ihnen anvertraut wurde.
Da ist niemand, der die einfachen Lösungen präsentiert. Da ist niemand, der klar sagt: tu dies und lasse das. Da mag dann und wann auch die Frage auftauchen: gibt es ihn überhaupt, diesen Herrn, der einfach gegangen ist? Interessiert er sich für mich und mein Leben – und habe ich etwas zu erwarten?
Und was hat eigentlich der, dem gegeben wird? Im Gleichnis sind es Reichtümer, gewiss.
Aber im Blick auf das Reich Gottes – was haben wir da?
Vielleicht zunächst einmal dies: wir haben die Verheißung, dass es von Gott her eine neue, ganz andere Zukunft gibt, die weit über das hinausgeht, was wir in unseren Bilanzen hochrechnen können. Eine Verheißung, die uns hoffen lässt.
Und wir haben unser Leben, das uns Gabe und Aufgabe ist. Die ersten beiden Knechte nehmen es in die Hand, machen etwas aus dem, was ihnen in die Hände gelegt ist. Mir gefällt der spielerische Zug, der daran auch deutlich wird. Der Mut zum Risiko, den die beiden an den Tag legen.
Dies ist es, was dem dritten Knecht fehlt. Er erstarrt ehrfürchtig vor der Größe seines Herrn, der sogar erntet, wo er nicht gesät hat und sammelt, wo er nicht ausgestreut hat. Er erstarrt in der Furcht, etwas falsch zu machen und den großen Ansprüchen nicht zu genügen.
Lieber gar nichts tun als Anstoß erregen. Lieber auf der sicheren Seite bleiben und immer schön diplomatisch. Lieber sagen und denken, was opportun ist als anzuecken. Lieber das Sichere, was man hat, eingraben und hüten als damit zu spielen und es zu gebrauchen.
Zu einem wagemutigen Umgang mit unserem Leben und unserer Hoffnung ermutigt uns das Gleichnis. Mut zum Risiko!
Es ermutigt zu einer Haltung, die frei vom Zwang des vorgegebenen Weges einfach einmal ausprobiert, was passiert, wenn ich mit meinen Talenten spiele.
Die ersten beiden Knechte haben nicht strategische Schachzüge verbissen geplant – aber sie haben die Verdopplung ihres Vermögens gewonnen.
Aber: Leichtigkeit im Spiel des Lebens ist nicht zu verwechseln mit Belanglosigkeit oder Beliebigkeit. Man kann es auch so sagen: der Glaube ist ein begründetes Wagnis. Ein Vertrauen darauf, dass die Hoffnung, die wir haben, nicht ins Leere läuft.
Freilich, es bleibt ein Stachel in diesem Gleichnis. Wer nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden. Wo die Furcht die Oberhand gegenüber der Zuversicht gewinnt, da wird auch das schal, was an leiser Hoffnung da ist.
Es gibt in unserem Gleichnis eine spiegelbildliche Entwicklung: die beiden ersten Knechte werden aufgrund ihres erfolgreichen Wirtschaftens „über vieles“ gesetzt. Sie haben mit dem, was ihnen in die Hand gegeben wurde, freimütig gehandelt – das gibt ihnen weit darüber hinaus Spielräume.
Der letzte Knecht hat erlebt, was man self-fulfilling prophecy nennt: er hat vor Furcht und Ehrfurcht nicht gewagt, etwas aus dem zu machen, was ihm in die Hände gelegt wurde. Und am Ende wird ihm genau dies verheißen: da wird sein Heulen und Zähneklappern.
Um den Mut zum Risiko, den Mut zum Leben, das etwas wagt, geht es. Nicht ins Blaue hinein, sondern weil uns die Verheißung des Reiches Gottes gegeben ist.
Weil wir längst haben, wovon uns immer wieder neu gegeben wird:
Hoffnung und Vertrauen,
die Verheißung, dass Gott uns entgegenkommt,
die Ermutigung, dass nichts egal ist.
Dort wo der Tau dieser Hoffnung wenigstens etwas Feuchtigkeit oder gar Nässe hinterlassen hat, dort wird es auch wieder und wieder reichlich aus dem Himmel mit Strömen der Liebe regnen.
Dort wird der Segen Gottes wachsen – und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft.
Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.