14.08.2011: Dr. Heike Springhart über EG 503 (Geh aus, mein Herz...)
Geh aus, mein Herz, und suche Freud…
Liedpredigt über EG 503 im Universitätsgottesdienst in der Peterskirche Heidelberg (14.08.11)
Dr. Heike Springhart
Vor der Predigt wurden schon die Strophen 1-7 gesungen:
Liebe Gemeinde,
kein Kinobesuch ohne dies: freche und schnelle, lebenslustige Strandszenen mit Surfern und Sonnencreme. Strandschönheiten, die sich auf bunten Handtüchern räkeln. Und der Ohrwurm: So schmeckt der Sommer! Like ice in the sunshine – wie Eis im Sonnenschein, so schmeckt der Sommer. Sagt die Eis-Werbung.
Den Geschmack des Sommers müssen wir in diesen vorherbstlichen Tagen gerade eher ins Kopfkino verlegen – „Sommer ist, was in deinem Kopf passiert“ singt die a-capella-Band Wise Guys.
Wie auch immer der je eigene Sommer-Geschmack aussieht und wie auch immer wir den Sommer lieben, eins ist sicher: der Sommer ist die Zeit der Überfülle. Der Reichtum der Gaben Gottes in der Schöpfung ist mit jeder Faser zu spüren und zu sehen. Die Bäume stehen voller Laub, die Blumen blühen üppig und schon am ganz frühen Morgen hört man die Vögel singen und die Sonne hat unendliche Energie und lässt die Tage lange hell sein. Der üppige Sommer macht einen entweder sprachlos oder entlockt den Lippen ein Lied.
Paul Gerhardt hat sich für das Lied entschieden und hat eines der schönsten und längsten Sommerlieder gedichtet, das in unserem Gesangbuch zu finden ist. Wir haben die ersten Strophen davon schon gesungen.
Als das Lied entstand, war der 30jährige Krieg gerade mal seit fünf Jahren vergangen. Bittere Armut herrschte auf dem Land, zu wenige Menschen konnten arbeiten und das Land bebauen.
In dieser Zeit bekam Paul Gerhardt eine Stelle als Pfarrer in einem kleinen Ort im Spreewald, in jener Zeit heiratete er auch. Das überschwängliche Glück trotz und inmitten der harten Zeiten tönt durch jede Zeile seines Liedes.
Geh aus, mein Herz – auch wenn das, was du da draußen siehst und erlebst alles andere als herzerfrischend ist.
Suche Freud‘ in dieser lieben Sommerzeit – lass dir die Sehnsucht nach Freude und Sommergeschmack nicht ausreden – an deines Gottes Gaben. Der üppige Garten der Natur und der Gärten schöne Zier lassen ihm das Herz überlaufen. Das Bild, das beim Singen vor meinem Auge entsteht, ist ein wahres Idyll. Ein echtes Paradies der Natur. Mit reich bewachsenen Böden, der atemberaubenden Schönheit von Blumen – Narzissus und die Tulipan ziehen sich viel schöner an als Salomonis Seide.
In den Worten der Bergpredigt haben wir es vorhin gehört: die Lilien auf dem Feld sind herrlicher und schöner gekleidet als der reiche König Salomo in seinen Palästen. Zur Zeit Paul Gerhardts waren Tulpen etwas ganz Exotisches. Man musste horrende Preise dafür bezahlen und der große Kurfürst in Berlin pflanzte in seinem Lustgarten Narzissen und Tulpen, um seinen großen Reichtum zu zeigen.
Im Garten der Natur entsteht immer und immer wieder neues Leben: die Glucke führt ihr Völklein aus, der Storch bewohnt sein Nest und die Schwalbe speist die Jungen. Das pralle Leben ist im wonnigen Juchzen der Hirten zu hören und an der unverdrossnen Bienenschar zu sehen.
Die wohltuende Abendkühle des Gartens ist nicht nur ein Geschenk Gottes für uns Menschen. In der Bibel wird auch davon erzählt, wie Gott selbst im Garten spazieren geht. Als der Tag kühl geworden war, hörten Adam und Eva Gott, wie er im Garten spazieren geht. Beschämt werden sie ihrer Nacktheit gewahr. Das Essen vom Baum der Erkenntnis hat ihnen die Augen geöffnet, die Zeit der träumenden Unschuld ist vorbei.
Zugleich sind die Augen geöffnet für die staunende Erkenntnis des übergroßen Reichtums der Schöpfung Gottes.
Dieser Reichtum und die überreiche Fülle des Lebens lassen das menschliche Gemüt singen und loben.
Tun wir das – und singen die Strophen 8-10:
8. Ich selber kann und mag nicht ruhn, des großen Gottes großes Tun
erweckt mir alle Sinnen; ich singe mit, wenn alles singt,
und lasse, was dem Höchsten klingt,
aus meinem Herzen rinnen, aus meinem Herzen rinnen.
9. Ach, denk ich, bist du hier so schön und lässt du's uns so lieblich gehn
auf dieser armen Erden: was will doch wohl nach dieser Welt
dort in dem reichen Himmelszelt
und güldnen Schlosse werden, und güldnen Schlosse werden!
10. Welch hohe Lust, welch heller Schein wird wohl in Christi Garten sein!
Wie muss es da wohl klingen, da so viel tausend Seraphim
mit unverdrossenem Mund und Stimm
ihr Halleluja singen, ihr Halleluja singen.
Mit beiden Beinen fest verwurzelt in diesem Erdengarten mit allem, was er bringt – an Freude und Glück, aber auch an Unkraut und Verwucherungen, an Schürfwunden und Gräben – so kann man einen Blick in den Garten Christi werfen. Der Blick in diesen Garten, den Blick hinter die Grenze unseres Lebens wagen wir nur selten. Für Paul Gerhardt und seine Zeitgenossen war er viel selbstverständlicher. Zu sehr waren Leid und Tod gegenwärtig und Teil des alltäglichen Lebens.
Das überhaupt erst macht die Tiefe dieses jubelnden Sommerliedes aus. Keineswegs war damals alles eitel Sonnenschein. Keineswegs waren jene Zeiten die „guten alten Zeiten“. Um sich herum und in seinem eigenen Leben hatte der Liederdichter viel mit unsäglichem Leid und Schmerz zu tun. Umso größer ist sein Aufatmen angesichts der übervollen Sommerzeit.
Mich beeindruckt das an diesem Lied: dass es einer geschrieben hat, der wahrlich nicht nur die lieben und sonnigen Sommerszeiten des Lebens kannte.
Das Lob Gottes und der Dank für die großen und kleinen Dinge, die das Leben ausmachen, sieht nicht an den schweren Seiten und Zeiten des Lebens vorbei. Das ist vielleicht der Unterschied zwischen dem Lob und dem spontanen Jubel, der in Fußballstadien aufbrandet. Der Jubel verebbt schnell wieder – aber das Lob und das Singen, das erfüllt mein Herz auch dann, wenn gerade Regenwolken am Lebenshimmel hängen.
Paul Gerhardt hat einen sehr realistischen Blick auf das Leben hier und jetzt und stimmt doch genau so und genau hier, das Lob an – lassen wir uns mitnehmen und singen wir die Strophen 11+12:
11. O wär ich da! O stünd ich schon, ach süßer Gott, vor deinem Thron
und trüge meine Palmen: so wollt ich nach der Engel Weis
erhöhen deines Namens Preis
mit tausend schönen Psalmen, mit tausend schönen Psalmen.
12. Doch gleichwohl will ich, weil ich noch hier trage dieses Leibes Joch,
auch nicht gar stille schweigen; mein Herze soll sich fort und fort
an diesem und an allem Ort
zu deinem Lobe neigen, zu deinem Lobe neigen.
Wer lobt, dem steht der Himmel offen. Für einen Moment stellt sich der Liederdichter vor, wie es wohl aussieht in jenem Garten dort oben. Für einen Moment könnte man meinen, er sehne sich danach, all die Mühsal hier hinter sich zu lassen. Aber so einfach ist es nicht und so einfach macht er es sich nicht.
Der Wunsch nach dem Paradiesgarten geht nicht an jenem andern Garten vorbei: an jenem Garten Gethsemane. Dort hat Jesus mit dem Vater gerechtet und gebetet: „Wenn es möglich ist, lass diesen Kelch an mir vorüberziehen.“ Ja, zu den Gärten, in denen wir uns bewegen, gehört auch immer wieder der Garten Gethsemane. Der Garten, in dem die verzweifelte Suche nach Trost ihren Platz hat – und die Hoffnung, dass etwas gut ausgehen möge, auch wenn es gar nicht gut aussieht. Im Garten des Lebens unter Gottes Himmel sind auch diese Erfahrungen aufgehoben. Sie können manchmal wie ein Joch sein, das mich niederdrückt und mir das aufrecht gehen und stehen schwer machen. Nicht immer wird dann das jubilierende Lob gelingen. Auch das ist Lob: in den verwinkelten Wegen der Gärten Gethsemane mit Gott zu rechnen. Damit zu rechnen, dass er mein Seufzen hört. So wird das Bild vom Garten zum Hoffnungsbild für die Überwindung von Leid und Tod – wie es hier in der Peterskirche sehr konkret umgesetzt ist.
Am Ende des Sommerchorals von Paul Gerhardt wenden wir uns singend Gott zu und bitten ihn um den Segen, der vom Himmel fließt. Wie das Regenwasser, das die Pflanzen auf den Feldern blühen lässt, soll der Segen uns zum Blühen bringen. So werden wir selbst zu einem Garten, in dem die Früchte des Glaubens wachsen. Zu einem Garten, in dem der Geist Gottes sich Raum schafft, dass ich dir werd ein guter Baum. Wir sind nicht aus eigener Kraft fromm und geistreich – Gottes Geist selbst sucht sich in uns Wohnung und einen Acker, auf dem er blühende und reiche Früchte treiben lassen kann.
Eine eigenartige Wendung vollzieht das Sommerlied am Ende: vom Lob der wunderschön anzusehenden Pflanzen und Blüten am Anfang kommt es jetzt zu dem Wunsch, dass wir, dass jeder einzelne von uns zu einer schönen Blume in Gottes Garten werden und bleiben möge.
Mehr noch: Erwähle mich zum Paradeis und lass mich bis zur letzten Reis an Leib und Seele grünen. Das erinnert wieder an den Spaziergang Gottes im Garten Eden bei Adam und Eva. Gott möge mich selbst zu einem Paradies erwählen, er möge sich seinen Raum in mir suchen.
Auch dann, wenn mein Acker gerade ziemlich verkrustet ist vor lauter Hitze des Lebens.
Auch dann, wenn das Unkraut alter Tage immer wieder durchkommt und die frischen Sprößlinge neuen Lebens überwuchert.
Auch dann, wenn von der vielen guten Saat nur ganz wenig aufgeht.
Genau auf diesem Boden wird Gott sein Paradies errichten und es wohnen lassen. In seinen Augen und vor seinen Augen sind wir paradiesisch und unendlich wertvoll, schöne Blumen und Pflänzchen – oder gar gute Bäume.
Das ist ein Vorgeschmack auf die Ewigkeit, den ich mir gern gefallen lasse. So schmeckt der Sommer! So ist es! Amen.
So stimmen wir ein in das Gebet und die letzten drei Strophen des Chorals:
13. Hilf mir und segne meinen Geist mit Segen, der vom Himmel fleußt,
dass ich dir stetig blühe;
gib, dass der Sommer deiner Gnad in meiner Seele früh und spat
viel Glaubensfrüchte ziehe, viel Glaubensfrüchte ziehe.
14. Mach in mir deinem Geiste Raum, dass ich dir werd ein guter Baum,
und lass mich Wurzel treiben.
Verleihe, dass zu deinem Ruhm ich deines Gartens schöne Blum
und Pflanze möge bleiben, und Pflanze möge bleiben.
15. Erwähle mich zum Paradeis und lass mich bis zur letzten Reis
an Leib und Seele grünen,
so will ich dir und deiner Ehr allein und sonsten keinem mehr
hier und dort ewig dienen, hier und dort ewig dienen.
Text: Paul Gerhardt 1653
Melodie: August Harder vor 1813