15.05.2011: Dr. Benita Joswig/Dr. Heike Springhart über 1 Kor 13

 

Von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt – Liebe und Weisheit

Dialogpredigt über 1 Kor 13

Universitätsgottesdienst 15. Mai 2011 Dr. Benita Joswig / Dr. Heike Springhart

Im Dialog predigen bedeutet, dass die Predigenden sich auf einen Wortwechsel einlassen, der rote Faden miteinander gefunden  und der Predigtaufbau gemeinsam gestaltet wird. Es ist ein aufeinander Einlassen und doch  Eigenes bestehen lassen, ein rhythmisch gestaltetes Wechselspiel, dem Wort Gottes zu dienen.  Auch räumlich wurde ein Dialog eröffnet, indem sowohl die Kanzel als auch der Kirchenraum selbst zueinander in ein Verhältnis gesetzt wurden.

In dieser Predigt gibt es einen im klassischen Sinne ausgeführten Teil von Heike Springhart und einen  poetisch-interpretierenden  von Benita Joswig. Das Lied von Friedrich Holländer, bekannt durch Marlene Dietrich haben wir an Jubilate als weltliches Stück integriert und theologisch in unsere Auslegung mit aufgenommen.

 

Lesung (Oliver Seel)

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.

Und wenn ich prophetisch reden könnte

und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis

und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte,

und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts.

Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen und hätte die Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze.

Die Liebe ist langmütig und freundlich,

die Liebe eifert nicht,

die Liebe treibt nicht Mutwillen,

sie bläht sich nicht auf,

sie verhält sich nicht ungehörig,

sie sucht nicht das Ihre,

sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu,

sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit,

sie freut sich aber an der Wahrheit;

sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.

Die Liebe hört niemals auf,

wo doch das prophetische Reden aufhören wird

und das Zungenreden aufhören wird

und die Erkenntnis aufhören wird.

Denn unser Wissen ist Stückwerk

und unser prophetisches Reden ist Stückwerk.

Wenn aber kommen wird das Vollkommene,

so wird das Stückwerk aufhören.

Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind

und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind;

als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war.

Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild;

dann aber von Angesicht zu Angesicht.

Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.

Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei;

aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

 

Heike Springhart (Kanzel)

Liebe Gemeinde,

Ohne Liebe ist alles nichts.

Alles, was Menschen zu sagen haben – an deutlichen Worten, an vorsichtigen Fragen, an Schmeichelei und Freundschaftsbezeugungen – was Menschen vielleicht sogar mit Engelzungen sagen, verhallt im Nichts, wo die Liebe fehlt.

Selbst die weitsichtigen Visionäre, die Deuter von Geheimnissen, die Prognostizierer und Hochrechner sind nichts, wenn die Liebe fehlt.

Ja, selbst ein Glaube, der Berge versetzen könnte, der sich mit der Welt und Gott im Reinen weiß, sich seiner selbst gewiss und der Zukunft sicher ist – selbst solcher Glauben ist nichts ohne die Liebe.

Was für eine Liebeserklärung schreibt Paulus da.

Welch besonders kostbares Geschenk ist eine Liebeserklärung – ob im romantischen Abendlicht auf der Alten Brücke, lange und liebevoll vorbereitet, der eine besondere, unvergessliche Moment. Oder auch mitten im Alltag, unerwartet, vielleicht nach langen gemeinsamen Jahren, ein Blick, eine Geste, Musik, die alles sagt.

Zum Reichtum der Liebe gehören Momente mit Liebeserklärungen. Geheimnisvolle Momente.

Wer aber versucht, die Liebe zu erklären und das Geheimnis zu lüften – der wird scheitern.

Das Eigentliche lässt sich nicht erklären. Man kann ihm nur auf der Spur sein und ihr nachtasten. Der Liebe.

 

Benita Joswig   (Kircheneingang)

Mir schlägt das Herz bis zum Hals.

Das Herz,

pulsierender Muskel

durchblutet schlägt es – warm.

Innere Uhr

ohne Ziffern,

Schlag um Schlag,

zählt es

klopft es

rast es?

Spricht es?

Sprache der Liebe,

die anders „ tickt“.

Wie spricht Liebe?

Wovon sagt sie sich los?

Wem bietet sie Parole?

Paulus erobert unsere Herzen,

weil er alle Bemühungen und jegliches „good will“, jeden Berg, den man im Leben schon einmal versetzt hat

eine große Schwere – sogar Härte zuspricht, wenn

die Liebe nicht

das Segel war.

Die Liebe

warmer Puls,

Herzenssache,

die ohne Beweis auskommt.

 

HS

Der Apostel weiß, wovon er spricht. Liebe ist nicht nur rosarot und himmelblau. Auch die Liebe steht in der Gefahr zu eifern, vom Mutwillen und Wille zur Macht untergebuttert zu werden, von aufgeblasener Eitelkeit weggeblasen zu werden.

 

Die Liebe ist ein kostbares Gut, das es in den Stürmen und Abgründen des Lebens manchmal nur ganz schön schwer haben kann. In den tiefgründigen Worten des Apostels an die Korinther ahne ich auch den Schmerz von unerfüllter Liebe und ungestillter Sehnsucht. Ahne etwas von dem Ringen Goethes zwischen Willkommen und Abschied: O, welch ein Glück, geliebt zu werden – und lieben, Götter, welch ein Glück!

 

Doch Achtung: dieses Hohelied der Liebe ist kein Hohelied der Liebespaare. Es singt von mehr. Es singt von der Liebe, die alles trägt. Das Leben von glücklichen Paaren und das Leben von Menschen in einem großen Netz von Freundschaften. Ob sie nun ganz froh sind, einer unglücklichen Beziehung entkommen zu sein oder sich unendlich einsam fühlen. Ob sie es leid sind, im Zweifelsfall doch alles allein machen zu müssen oder die große Freiheit genießen.

Die Liebe ist nicht nur das Band zwischen zwei Menschen, sie ist die Kraft und Leidenschaft des Lebens.

Die Liebe trägt und erträgt mit Geduld und Langmut das Eifern um Anerkennung und Geltung. Sie spielt nicht mit beim Spiel von Macht und Mutwillen, sondern sie ist verlässliche Zuwendung.

 

Wer sich dem Leben und den anderen solchermaßen liebend zuwendet, der lässt eher mal Luft ab als dass er sich aufbläht. Der kann auch mal von sich selbst absehen und ist in Leidenschaft entbrannt bei der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit. Nicht um Gleichmut, sondern um Leidenschaft geht es. Nicht um das ewig gleiche und eingefrorene frömmliche Lächeln, sondern das beherzte Lachen und den ernsten Blick gleichermaßen.

Wo Liebe im Spiel ist, da geht es ums Ganze.

 

Chanson: Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt (Katrin Philipp)

(Falling In Love Again von Friedrich Holländer)

Marlene Dietrich

 

Ein rätselhafter Schimmer, ein "je ne sais-pas-quoi" liegt in den Augen immer bei einer schönen Frau.

Doch wenn sich meine Augen bei einem vis-à-vis ganz tief in seine saugen was sprechen dann sie?:

 

Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt, denn das ist meine Welt. Und sonst gar nichts.

Das ist, was soll ich machen, meine Natur, ich kann halt lieben nur und sonst gar nichts.

Männer umschwirr'n mich, wie Motten um das Licht. Und wenn sie verbrennen, ja dafür kann ich nicht.

Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt, ich kann halt lieben nur und sonst gar nichts.

 

Was bebt in meinen Händen, in ihrem heißen Druck? Sie möchten sich verschwenden sie haben nie genug.

Ihr werdet mir verzeihen, ihr müßt' es halt versteh'n, es lockt mich stets von neuem. Ich find' es so schön!

 

Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt…

 

BJ        (in der Mitte der Bankreihen)

 

Da geht es ums Ganze!

Ganz im Sinne Paulus: nur die Liebe zählt,

von Kopf bis Fuß,

ganz drauf eingestellt,

nichts wird mehr hinterfragt

gezweifelt,

kalkuliert,

verrechnet,

misstraut.

Mensch , Marlene,

denk ich,

„sonst gar nichts“?

„Nein sonst gar nichts“

antwortet der Apostel,

und darin liegt alles!

Der Apostel spricht es uns poetisch zu,

rhythmisch,

warmherzig mögen wir es von Herzen verstehen.

 

Herz und Verstand sind bei ihm keine Gegensätze,

im Gegenteil: das Herz ist geheimer Ort des Nachdenkens, des Verstehens, Ort der Entscheidung.

In Israel bedeutete Herzensweite gebildet sein,

wissen, was man tut. Ein Mangel an Herz heißt nicht Gefühlskälte, sondern Gedankenlosigkeit, Unvernunft und schlicht Dummheit.

 

Wenn wir lieben – so Paulus – dann werden wir vernünftig,

unterlassen die Dummheiten,

wie Rechthaberei, Angeberei oder Asugrenzung,

sind ganz bei uns,

geben der Liebe Raum,

lassen los,

der ganze Körper – von Kopf bis Fuß

erkennt,

die Liebe trägt leichter

alles trägt sie und erträgt sie,

 weitet mein Herz.

Das sollen wir verstehen,

beherzigen.

 

HS 

Auch wenn alles aufhört und abbricht – die Liebe hört niemals auf. Sie ist die never ending story zwischen hier und dort. Gottes Liebesgeschichte mit mir und mit dieser Welt hört niemals auf. Auch und erst recht nicht da, wo alles abbricht.

Auch nicht da, wo ich schmerzlich oder beschämt erkenne: all mein Reden, mein Erkennen und Wissen, meine Forschungsergebnisse, meine mühsam erarbeitete Seminararbeit, meine Exzellenz und qualifizierte Begabung – all das ist Stückwerk. Fragment. Theologische Weisheit beginnt da, wo ich eben dies erkenne: selbst wenn ich atemlos und müde vom schweren Gepäck oben angekommen bin, stehe ich doch allenfalls auf der ersten Stufe des Berges vollkommener Weisheit und Erkenntnis.

 

Es ist die Liebe, die die Sehnsucht wachhält. Angesichts ihrer Ewigkeit ahne und erkenne ich die Endlichkeit aller anderen Bemühungen und Leidenschaften.

Erkennen und Liebe hängen aufs engste miteinander zusammen. Im Hebräischen fällt es sogar wörtlich zusammen. Wer den anderen erkennt, teilt mit ihm das Bett und sein innerstes Wesen. So hat auch Erkenntnis etwas mit Hingabe zu tun. Ich habe mit nicht selbst in der Hand, ja, ich bin mir selbst entzogen. Meine Mitte liegt außerhalb meiner selbst.

 

Die Liebe hört niemals auf. Sie trägt die Stückwerke meines Lebens.

Das ist das eine.

Das andere ist: mit den Augen der Liebe gesehen wird das Stückwerk überhaupt erst als das offenbar, was es ist. Wie oft spinnen wir Luftgespinste, suchen allerlei Künste und kommen doch immer weiter weg vom Ziel.

 

BJ (links aus der Seitenkapelle)

Gebrochenes Herz

auseinander-gerissen,

Herzinfarkt.

Rhythmus verloren.

 

Ich lege die Hand auf mein Herz:

roter Puls denk ich

blauer Strom

hellgelb atme ich durch.

 

Der ganze Blutkreislauf antwortet,

fließt,

klingt

und - es entsteht wieder ein Anfang

mitten im Leben,

mitten in der Woche,

mitten am Tag.

Wer kennt sie nicht diese Worte, Kinder wie Erwachsene:

 „Komm, lass es uns nochmal versuchen.“

 

HS

Noch einmal mit dem Anfang anfangen. Immer wieder neu. Das ist die lebenslange Denkbewegung, die zur Weisheit führt.

Alles hat seine Zeit. Und jede Zeit meines Lebens bringt ihr ganz eigenes Denken und Fragen mit sich. Als ich ein Kind war, dachte ich wie Kind und war klug wie ein Kind – sagt Paulus.

Das kindliche Denken und Fragen hat er abgelegt. Und doch: es bleiben vorerst dunkle Schemen, die er erkennt. Durch einen Spiegel ein dunkles Bild. Es bleibt noch etwas offen. Es bleibt die Sehnsucht nach vollkommenem Erkennen. Dann werde ich erkennen wie ich erkannt bin. Die Sehnsucht danach, gesehen und angesehen zu werden, hat ein Ziel.

Zwischen dem dunklen Schemen und dem hellen Bild gibt es eine Verbindung. Zwischen dem stückweisen Erkennen hier und der vollkommenen Weisheit dort bildet die niemals endende Liebe die Verbindung.

 

Die Sehnsucht und die Suche nach Weisheit und Erkenntnis ist keine blutleere Schreibtischtätigkeit, sondern leidenschaftliches Ringen. Manchmal gar eine aufgewühlte, manchmal einfach eine unglaublich tiefe See.

Es gibt Momente, da leuchtet etwas auf von der vollkommenen Weisheit. Da stellen sich beglückende Entdeckungen ein. Da berühren sich in der liebenden Umarmung und im liebenden Erkennen von mir und Dir Himmel und Erde.

 

Am Ende bleiben Glaube, Hoffnung und Liebe – die Weisheit steht noch aus.

 

Der Glaube ist der Grund und die Sehnsucht nach Erkenntnis, nach Weisheit, nach offenem Himmel.

Die Hoffnung gibt dem Glauben seine Richtung, sie ist Motor der Veränderung, Ort der Sehnsucht.

 

Und die Liebe? Die höchste unter diesen dreien. Sie umklammert Gott und Mensch, niemals hört sie auf. Ein großer Strom der Leidenschaft für das Leben.

Eros und agape, ganz und gar, von Kopf bis Fuß.

Liebe mit Ziel und Richtung, Hingabe mit Sehnsucht und V      erheißung.
Für diese Welt, in dieser Welt und über sie hinaus. Das ist meine Welt.

Zärtliche Berührung von Himmel und Erde.

Mit allen Sinnen. Getrost – aber nicht von Sinnen.

 

BJ (Apsis)


Weil es um den Lebenssinn geht,

um die Sehnsucht,

das Leben zu lieben,

trotz aller Widrigkeiten.

Nur zu lieben wäre eine Überforderung.

Deswegen ist es weise, dass Paulus

uns den Apfelkern zeigt:

Hier pflanz ihn ein!

Glaub‘ dran,

hoffe,

und liebe dann macht alles einen Sinn! Amen

 

HS

Und der Freie Gottes der höher ist als alle Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne im Namen Jesus Christus. Amen.

 

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Letzte Änderung: 29.10.2013
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