18.04.2010: Prof. Dr. Helmut Schwier über Gen 1,1-2,4a
„Und Gott sah, dass es gut war“
Predigt zu Gen 1,1-2,4a im Semestereröffnungsgottesdienst am 18. April 2010 in der Peterskirche Heidelberg
Universitätsprediger Prof. Dr. Helmut Schwier
Liebe Gemeinde,
„Gott sah, dass es gut war“ – das ist der Refrain der Schöpfungsgeschichte!
Schon zu Beginn am ersten Schöpfungstag ist es das Licht, das so beschrieben wird, dann am dritten Tag: Erde und Meer und das, was die Erde hervorbringt: Gras, Kraut, Bäume, Früchte. Am vierten Tag ist es der Zeitrhythmus von Nacht und Tag, am fünften die Vögel und alles, was im Wasser lebt, am sechsten Tag die Landtiere, Vieh, Gewürm und die Tiere des Feldes, und der Mensch als Mann und Frau. „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“ – der Refrain der Schöpfungsgeschichte! Ihn will ich heute Morgen anstimmen und zum Klingen bringen. Zu einem Refrainlied gehören einzelne Strophen. Heute sind es vier.
Die erste Strophe beginnt: Schöpfung ist: Gott fängt an.
Was wäre, wenn er es nicht getan hätte? Dann gäbe es zwei Möglichkeiten: es wäre Nichts oder Gott wäre alles.
Das Nichts vor der Schöpfung ist naturgemäß nicht zu denken und würde in der Welt der Bibel auf völliges Unverständnis stoßen. Aber es gibt die Varianten mitten im Leben: Die radikalen Nihilisten haben versucht, dem Abgrund des Nichts standzuhalten oder ihm in heroischer Pose oder mit Entscheidungspathos zu trotzen – meist bleibt es aber bloß bei gedanklichen Varianten; existentiell bedrohlicher ist, wenn das Nichts wie ein giftiger Nebel uns schleichend umgibt, wenn alles sinnlos, vergeblich erscheint. Auch und gerade in Depression und Verzweiflung ist die erste Schöpfungsstrophe zu singen: Gott fängt an, neu an, und Ihr könnt es auch.
Auch die andere Möglichkeit ist eigentlich unmöglich: Gott bleibt nicht alles, sondern schafft Gegenüber. Gott ist nicht total und totalitär. Er fängt an. Am Anfang bleibt nicht ein göttliches Alles oder Nichts, sondern es wird ein Etwas und Anderes, ein geschaffenes Gegenüber: Himmel und Erde.
Das Schöpfungslied heißt: Gott fängt an – nicht an einem absolut entfernten Zeitpunkt, vor oder im Urknall, sondern es gilt im Anfang, in principio, im Prinzip, grundsätzlich, also auch jetzt. Der Grundton der Schöpfungsstrophen sind nicht Weltentstehungstheorien, die überlassen wir gern den Naturwissenschaftlern; der Grundton des Schöpfungsliedes ist die Gewissheit: Gott fängt an, und er handelt in Freiheit und Liebe.
Die zweite Schöpfungsstrophe heißt: Gott redet an.
Sein machtvolles Schöpferwort, das ich mir immer wie Musik vorstelle, erschallt und es geschieht. Bei uns Menschen geschieht das so nicht, was – denken wir an das Jesuswort vom bergeversetzenden Glauben – auch an unserem Kleinglauben liegen könnte. In unserer Erfahrung kennen wir aber schwache Analogien: Worte können Situationen grundlegend verändern; bei uns sind es dann nicht selten Veränderungen zum Schlechten – eine unbedachte Äußerung, eine vorlaute Selbstdarstellung, ein rechthaberisches Meckern – und schon sind Situationen verändert, Beziehungen beschädigt und oft nur mühsam zu heilen.
Gottes Schöpferwort verändert grundlegend und zum Guten. Er spricht und schafft die Zeit und ihre Rhythmen am 1. und 4. Tag. Er spricht und schafft den Raum am 2. und 3. Tag – übrigens eine schöne und einfache Relativitätsandeutung in mythisch-poetischer Sprache. Gott spricht und lässt das Leben entstehen am 5. und 6. Tag – dies nicht nur durch sein Schöpferwort, sondern durch das differenzierte und aufeinander abgestimmte Zusammenwirken der Kräfte des Himmels und der Erde.
Gottes Worte verändern zum Guten, denn er segnet – die Tiere, den Menschen; und er gibt uns Menschen den Auftrag, den gemeinsamen Lebensraum zu nutzen, die Erde „in Anspruch zu nehmen“, wie Alttestamentler das „untertan machen“ neu übersetzen – und dadurch neue theologische und ökologische Perspektiven öffnen. Denn das „in Anspruch nehmen“ ist in der Antike exklusives Recht und Privileg eines Königs; durch die Schöpfung hat also der Mensch als Mann und Frau, hat jeder Mensch königliche Würde. Solche königliche Würde missbraucht, wer die Erde ausbeutet und die Schiffe profitgesteuert durchs Riff fahren lässt.
Die zweite Strophe heißt: Gott redet an. Seine Worte setzen in Bewegung und Schwingung, lassen Klang entstehen, zeigen die grundlegende Ausrichtung des Lebens auf Kommunikation und Beziehung. Gott redet an und segnet, und das können wir auch.
Die dritte Schöpfungsstrophe geht so: Gott scheidet und unterscheidet. Gott schafft Strukturen und Beziehungen, er ermöglicht Räume und Systeme des Lebens. Die Polaritäten von Licht und Finsternis, Himmel und Erde, Wasser und Festland, Tieren und Menschen, Mann und Frau schaffen und bilden die Dynamik und Vielfalt allen Seins. Das macht das Leben so schön und bunt, wenn auch nicht gefahr- und konfliktlos.
Gott unterscheidet das Geschaffene vom Schöpfer. Das Geschaffene ist nicht göttlich. Die Gestirne sind keine Gottheiten, sondern so etwas Banales wie große Lampen oder Lichter. Sie bestimmen auch nicht das Schicksal. Daher sind Horoskope bestenfalls Unterhaltungsliteratur. Die großen Walfische wie Luther übersetzt, gemeint sind sie als Bild für Seeungeheuer, vor denen noch die Seefahrer der frühen Neuzeit erschauerten, sind nicht dämonisch oder übermächtig; sie sind Geschöpfe. All das Numinose, all das, was wir als übermächtig fürchten und nicht selten phantasieren, ist Teil der Schöpfung, nicht mehr und nicht weniger.
Gott unterscheidet. Der Kosmos ist nicht göttlich. Das heißt auch, dass wir Menschen ihn erforschen können – sei es mit Hilfe von Teilchenbeschleunigern oder von astronomischen Instrumenten. Schon in der Schöpfungsgeschichte beginnt auch die „Entzauberung der Welt“ (Max Weber).
Haben Sie den Refrain noch im Ohr? „Gott sah, dass es gut war.“ Ich verstehe es – vielleicht leicht häretisch oder anfechtbar – so: Gott sieht, nimmt wahr und staunt. Der Refrain der Schöpfungsgeschichte ist nicht ein selbstgewisses und selbstzufriedenes Prüfen und Billigen nach der Melodie „Es ist geplant und soll so bleiben, wie es ist“. Der Refrain der Schöpfungsgeschichte hat eine andere Melodie: „Es wird alles neu“. Oder anders gesagt: Der Schöpfer handelt nicht wie ein Bauhandwerker oder technokratischer Wissenschaftler, der alles nach vorgegebenem Plan abarbeitet und am Ende selbstzufrieden evaluiert. Der Schöpfer handelt eher wie ein Künstler: Er schafft Neues, nimmt das Geschaffene wahr, reagiert auf die neuen Möglichkeiten der Erde mit ihren Pflanzen und Lebewesen. Er registriert nicht, sondern er staunt und sieht, dass es sehr gut ist.
Für alles Geschaffene, also auch für uns, heißt es: es ist gut. Es ist gut, nicht weil wir zu etwas gut sind; es ist gut, weil wir Gottes Werk sind, von ihm gewollt als sein Gegenüber.
Der Refrain ist von uns nicht immer nur fröhlich und beschwingt zu singen, sondern auch mit Klagetönen. Natur, Kosmos und Welt sind schön, aber sie sind auch schrecklich. Schon die Bibel erzählt in der Fortsetzung der Schöpfungsgeschichte, dass das Paradiesprojekt gescheitert ist, dass Mord und Totschlag, Brutalität und Gottesferne in Familie und Gesellschaft Einzug halten, Menschen und Natur zerstört werden. Aber im Noahbund und mit dem Zeichen des Regenbogens bekräftigt Gott sein Ja zur Schöpfung.
Wie die Bibel mit 2 Schöpfungskapiteln beginnt, so endet sie mit 2 Kapiteln, die Gottes Neuschöpfung vor Augen malen. Johannes Schreiter hat in seinem Fensterentwurf „Himmlisches Jerusalem“, das Sie im Faltblatt sehen und dort im Südfenster verwirklicht werden soll, diese Hoffnung aufgenommen: der bedrohte, geschundene, ausgebeutete Erdkreis am unteren Rand und Gottes Neuschöpfung im Bild der idealen Stadt, ihrer kostbaren, unbeschreiblichen Schönheit, ihrer Offenheit für alle Menschen und Völker, ihrer Vision vom Beieinanderwohnen von Schöpfer und Geschöpf.
„Gott sah, dass es gut war“; er sieht, dass es gut wird.
Nach dem Refrain die vierte und letzte Schöpfungsstrophe: Gott ruht und heiligt. Die Vollendung der Schöpfung geschieht nicht in der Erschaffung des Menschen, sondern durch den Ruhetag, den Sabbat. Der Tag der Ruhe ist so menschenfreundlich wie der Wechsel der Jahreszeiten oder der Wechsel von Tag und Nacht; aber er ist gleichzeitig der große Freiraum. Er bietet Freiheit vom Leistungsdruck oder von der grausamen Überheblichkeit, alles selbst schaffen zu müssen. Gott hat am 7. Tag geruht, dann können wir es auch; gewichtiger als Seine Werke sind unsere bestimmt nicht.
Der Feiertag ist der große Freiraum. Er ermöglicht Freiheit zur Erholung in Garten und Natur, Freiheit zur Geselligkeit, Freiheit zu Kultur und Sport, Freiheit, das Gute wahrzunehmen und zu staunen. Ja, und er bietet Freiheit, Gott zu verehren – im eigenen Gebet und in der Gemeinschaft der Glaubenden und nach Wahrheit und Gerechtigkeit Suchenden. Diese Gemeinschaft, exemplarisch in der Synagoge und Kirche versammelt, hört und vergegenwärtigt die grundlegenden Worte und Geschichten, die im Prinzip uns allen gelten; und sie lobt den Schöpfer mit neuen Liedern.
Das Lied der Schöpfung ist das Lied des Lebens, jeden Lebens, auch deines und meines. Lasst es uns neu entdecken und seine Strophen anstimmen: Anfangen, Anreden, Unterscheiden, Ruhen und Freisein – und dabei den Refrain im Ohr behalten: „Siehe, es ist sehr gut.“
Lesung zum Abschluss:
Die Schöpfung (Gen 1,1 – 2,4a)
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.
Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.
Und Gott sprach: Es werde eine Feste zwischen den Wassern, die da scheide zwischen den Wassern. Da machte Gott die Feste und schied das Wasser unter der Feste von dem Wasser über der Feste. Und es geschah so. Und Gott nannte die Feste Himmel. Da ward aus Abend und Morgen der zweite Tag.
Und Gott sprach: Es sammle sich das Wasser unter dem Himmel an besondere Orte, dass man das Trockene sehe. Und es geschah so. Und Gott nannte das Trockene Erde, und die Sammlung der Wasser nannte er Meer. Und Gott sah, dass es gut war. Und Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringe, und fruchtbare Bäume auf Erden, die ein jeder nach seiner Art Früchte tragen, in denen ihr Same ist. Und es geschah so. Und die Erde ließ aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringt, ein jedes nach seiner Art, und Bäume, die da Früchte tragen, in denen ihr Same ist, ein jeder nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war. Da ward aus Abend und Morgen der dritte Tag.
Und Gott sprach: Es werden Lichter an der Feste des Himmels, die da scheiden Tag und Nacht und geben Zeichen, Zeiten, Tage und Jahre und seien Lichter an der Feste des Himmels, dass sie scheinen auf die Erde. Und es geschah so. Und Gott machte zwei große Lichter: ein großes Licht, das den Tag regiere, und ein kleines Licht, das die Nacht regiere, dazu auch die Sterne. Und Gott setzte sie an die Feste des Himmels, dass sie schienen auf die Erde und den Tag und die Nacht regierten und schieden Licht und Finsternis. Und Gott sah, dass es gut war. Da ward aus Abend und Morgen der vierte Tag.
Und Gott sprach: Es wimmle das Wasser von lebendigem Getier, und Vögel sollen fliegen auf Erden unter der Feste des Himmels. Und Gott schuf große Walfische und alles Getier, das da lebt und webt, davon das Wasser wimmelt, ein jedes nach seiner Art, und alle gefiederten Vögel, einen jeden nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war. Und Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und mehret euch und erfüllet das Wasser im Meer, und die Vögel sollen sich mehren auf Erden. Da ward aus Abend und Morgen der fünfte Tag.
Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor lebendiges Getier, ein jedes nach seiner Art: Vieh, Gewürm und Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art. Und es geschah so. Und Gott machte die Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art, und das Vieh nach seiner Art und alles Gewürm des Erdbodens nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war. Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht. Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht. Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise. Aber allen Tieren auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel und allem Gewürm, das auf Erden lebt, habe ich alles grüne Kraut zur Nahrung gegeben. Und es geschah so. Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Da ward aus Abend und Morgen der sechste Tag.
So wurden vollendet Himmel und Erde mit ihrem ganzen Heer. Und so vollendete Gott am siebenten Tage seine Werke, die er machte, und ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte. Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte.
So sind Himmel und Erde geworden, als sie geschaffen wurden.
Halleluja. Gott hat uns gemacht und nicht wir selbst zu Schafen seiner Weide. Halleluja.
Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden. Halleluja.