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19.10.: Predigt Dr. Heike Springhart über 1Joh 2,7-17

Predigt über 1Joh 2,7-17


Universitätsgottesdienst am 19.10.08 (22. So. n. Trin.) in der Peterskirche Heidelberg 


Predigerin: Dr. Heike Springhart (Wiss. Mitarbeiterin im Wiss.-Theol. Seminar, Systematische Theologie)    

 


Liebe Gemeinde,

 

es geschah vergangenes Wochenende: glamourös waren sie alle über den roten Teppich in Köln geschritten: Damen mit mehr oder weniger atemberaubenden Kleidern, Herren im Smoking und bester Laune. Blitzlichtgewitter, eine golden anmutende Kulisse hinter einem riesengroßen Podium für Sieger und Geehrte.

Der Abend lief auf seinen Höhepunkt zu. Da soll einer für sein Lebenswerk geehrt werden, dafür, dass er „aus der Welt der blassen Wunderkinder immer wieder in die raue Welt der Fernsehunterhaltung hinabgestiegen“ ist.[1] Das Publikum applaudiert, standing ovations, der betagte Marcel Reich-Ranicki erhebt sich, schreitet zur Bühne – und verkündet vor der versammelten Fernsehprominenz: „Ich nehme diesen Preis nicht an! Ich gehöre nicht in die Reihe der heute Preisgekrönten. Ich kann diesen Gegenstand, der hier überreicht wurde, nur von mir werfen oder jemandem vor die Füße werfen. Ich kann das nicht annehmen!“

Verblüffung. Verlegenes Gelächter. Staunen.

  Da traut sich einer, die durchgestylte Hochglanzwelt zu zerkratzen.

  Da spielt einer nicht mit. Stellt sich nicht der Fernsehwelt gleich.

Und er redet dieser Welt und allen, die sie gestalten, ins Gewissen – mit markigen Worten. Markige Worte sind es auch, die der Verfasser des 1. Johannesbriefes seinen judenchristlichen Lesern ins Stammbuch schreibt. Auch er spricht zu Eingeweihten, zu solchen, die wissen, worum es geht. Heute sind diese Worte an uns gerichtet:[2

Meine Lieben, ich schreibe euch nicht ein neues Gebot, sondern das alte Gebot, das ihr von Anfang an gehabt habt. Das alte Gebot ist das Wort, das ihr gehört habt. – Und doch schreibe ich euch ein neues Gebot, das wahr ist in ihm und in euch; denn die Finsternis vergeht sichtlich und das wahre Licht scheint schon.

Doch wer behauptet, er stehe im Strahlkreis des Lichtes, und doch seinen Bruder oder seine Schwester nicht liebt, der steht immer noch im Bannkreis der Finsternis.Wer seinen Bruder oder seine Schwester liebt, bleibt im Strahlkreis des Lichts, und er bringt niemanden dazu, vom Glauben abzufallen.

Wer aber seinen Bruder oder seine Schwester hasst, der steht in der Finsternis, tappt im Dunkeln und weiß nicht, wo er hingeht, weil die Finsternis ihn ganz blind gemacht hat.Liebe Kinder, ich schreibe euch, dass euch die Sünden vergeben sind um Jesu Namen willen.Ich schreibe euch Vätern, die ihr ihn, Jesus, der von Anfang der Welt an da ist, doch damals ganz zuerst kennengelernt habt. Ich schreibe euch jungen Männern; denn ihr seid stark und das Wort Gottes ist fest in euch verankert, und ihr habt den Bösen überwunden. Ich habe an euch geschrieben, liebe Kinder, denn ihr wisst doch, wer der Vater ist.Hängt euer Herz nicht an die Welt und an das, was in ihr ist. Wer sein Herz daran hängt, den hat die Liebe Gottes des Vaters noch nicht erfasst.Denn alles, was uns wie unsichtbare Fäden an die Welt fesselt, das kommt gewiss nicht von Gott: sinnliche und triebhafte Gier, Blicke, die andere ausziehen oder arm machen.

Die Welt vergeht und mit ihr die Gier nach der Welt; wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit.

Hängt euer Herz nicht an die Welt, denn die Welt vergeht.

Stachelige Worte, die genaueres Hinsehen verlangen. Die Schwarz-Weiß-Alternativen sind für mich schwer zu hören. Monastische Existenz statt Marktorientierung? Privatchristentum statt Public Relations? Kreuzestheologie statt Corporate Identity? Endliche Welt oder göttliche Ewigkeit?

Drei Schlaglichter blitzen auf:

Das erste: Häng dein Herz nicht an Geld und Gut, denn woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott. Die herausfordernde Konsequenz von Luthers Gebotsauslegung im Großen Katechismus war vielleicht schon lange nicht mehr so deutlich wie in diesen Tagen der weltweiten Finanzkrise.

Bankencrash statt Cash flow. 19. Oktober 2008.

Das zweite:

Im Mai 1968 wurde in Leipzig die Universitätskirche gesprengt. Die vom Krieg unversehrte Paulinerkirche musste sozialistischem Städtebau und der neu erbauten Karl-Marx-Universität weichen. Heute schon steht diese Universität nicht mehr, ein Neubau wird errichtet. In diesen Tagen ist der Streit über die Integration eines Kirchenraumes in die Universität entbrannt. Am Mittwoch hat es der Senat festgelegt: die Universität Leipzig baut keine Kirche, sondern eine Aula. Autonomie und Freiheit der Wissenschaft vertragen sich nicht mit einer Kirche – heißt es.

Museale Reminiszenzen statt lebendigen Geistes.

Das dritte:

Heute vor 63 Jahren wurde in einem Saal der bombengeschädigten Württembergischen Bibelanstalt die Stuttgarter Schulderklärung durch Hans Asmussen verlesen. Die Kernsätze haben sich eingeprägt: „Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“

Bittere Erkenntnis eigener Schuld nach dem Untergang einer verheerenden Epoche. 19. Oktober 1945.

Die drei Schlaglichter werfen ein Licht auf den belebenden Stachel, der die Worte aus dem 1. Johannesbrief sein können.

Die Finanzkrise bringt es in frappierender Weise ans Licht, dass die einfache Alternative „Gott oder Geld“ nicht trägt. Viel zu sehr geht es auch in der Kirche um die Finanzierung der Arbeit – und darüber muss offen und transparent geredet werden, nicht verschämt hinter der Hand. Viel zu eng sind auch im Raum der Kirche die Verstrickungen mit den Finanzmärkten, auch wenn es nicht alle Landeskirchen so schmerzlich zu spüren bekamen wie die Oldenburgische, die wohl in den letzten Tagen 4,3 Millionen Euro verloren hat. Auch die badische Landessynode hat am kommenden Mittwoch einen Tagesordnungspunkt „Kapitalanlagen – Ertragsgenerierung unter ethischen Gesichtspunkten“ auf dem Programm.

Hängt euer Herz nicht an die Welt, denn die Welt vergeht. Diese Worte sind ein Stachel im Cashflow. Immer wieder muss neu gefragt werden: was regiert unser Tun und Lassen als Christinnen und Christen, als Kirche. Wes Geistes Kinder sind wir? Wo das Geld und die Finanzwelt ein Eigenleben und eine Eigenmacht entwickeln, die uns einwickeln, da gilt es, dies kritisch und selbstkritisch ins Bewusstsein zu rufen: Geld und Finanzwirtschaft mögen dazu dienen, das Nötige in Kirche und auch in der Universität zu ermöglichen, aber sie sind nur Mittel zum Zweck.

Der Streit am Leipziger Augustusplatz wirft die Frage nach dem freien Eigenleben der Welt und der Wissenschaft auf. Universitätskirchen – auch unsere Peterskirche in Heidelberg – sind sichtbare Zeugnisse des lebendigen Geistes Gottes mitten im Kern einer Universität, jedenfalls sollten sie es sein. Sie weisen darauf hin, dass unser aller Studieren im Lernen, Lehren und Forschen kein Selbstzweck ist. Lassen wir uns das heute Morgen einmal sagen: mit der Welt vergeht die Gier nach wissenschaftlichen Erfolgen, das Jagen nach Drittmitteln, credit points und impact-Faktoren. Sich diesem Stachel gelegentlich zu stellen, mag uns freier machen zur Leidenschaft für die Sache.

Stuttgart 1945 wirft schließlich die bleibende Frage auf: wo machen wir einfach mit, obwohl differenzierte und klare Kritik vonnöten wäre? Wo verschließen wir die Augen vor schuldhaften Verstrickungen, in denen wir stecken und an denen wir beteiligt sind, ohne sie sich uns einzugestehen? Ein dritter Stachel, der in den Worten des 1. Johannesbriefes steckt, ist die Ermutigung dazu, den Blick auf die eigene Schuld zu wagen, das klare, mutige Wort zu sagen, auch und gerade dann, wenn es nicht angesagt zu sein scheint. Zum Leben in dieser Welt gehört die Erfahrung von Schuld und Versagen. Dass nicht alles gut ist, was wir gut meinen. Wir können diesen Blick wagen, weil das Licht der Vergebung schon auf uns scheint. Christus hat die Welt und uns erlöst von allen gottlosen Bindungen.

Und: Wie viel einfacher haben wir es heute, klare und deutliche Worte zu sagen. Im Nachgang zum Medienecho über den nicht angenommenen Fernsehpreis hat Marcel Reich-Ranicki, der Holocaust-Überlebende, es am Freitagabend pointiert zum Ausdruck gebracht: „Die Leute sagen: es war mutig, dass ich das gesagt habe. Ich frage: Was ist daran mutig, einen Preis nicht anzunehmen? Wir haben doch keine Gestapo mehr!

Nicht um Auswanderung aus der Welt geht es, sondern darum, in der Welt so zu leben, dass etwas davon spürbar ist, dass sie nicht das letzte Wort hat. Wittgenstein, der Philosoph, hat es einmal so gesagt: „An einen Gott glauben, heißt sehen, dass es mit den Tatsachen der Welt noch nicht abgetan ist.“[3] Glauben sieht stets über die Tatsachen der Welt hinaus. Dass hat wenig mit abstrakter Erkenntnis und philosophischem Nachdenken zu tun.

Es hat vielmehr etwas mit der Erfahrung von Vergebung zu tun. Sie macht uns frei, den Blick auf das zu richten, was wir längst schon wissen. Auf das Gebot, auf das uns schon der Prophet Micha verwiesen hat: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und besonnen mitgehen mit deinem Gott.“

Es ist uns gesagt. Schon längst haben wir das alte Gebot. Tacit knowledge, stilles Wissen, sagen die Sozialwissenschaftler. Tief in uns wissen wir, was zu tun und zu lassen ist. Manchmal jedenfalls. Aber wir können es nicht immer abrufen. Wenn es dem Glauben in erster Linie um das Unterschreiben von Leitbildern ginge, dann wäre es genug, das Wissen immer mal abzurufen und hochzuladen.

Aber lebendiger Glaube ist mehr. Weil die lebendige Geschichte Gottes mit den Menschen mehr ist. Lebendiger Glaube hat mit der Erfahrung zu tun, dass in die Dunkelheiten meines Lebens ein neues Licht fällt. Dass aus dem einzelnen Spot ein immer weiterer Strahlkreis wird. Dass die Dämmerung klaren, deutlichen Konturen weicht und dass etwas von dem aufscheint, was als neue Schöpfung noch vor uns liegt. Das neue Gebot ist nicht einfach der neueste Schrei in Glaubensdingen. Nicht das, was der Zeitgeist gerade mal als schick zu glauben vorgibt. Das neue Gebot weist über diese Welt hinaus auf die Erneuerung von Himmel und Erde, auf die wir hoffen. Das hält den Glauben lebendig und in Bewegung. Aber – und das ist zentral: so wenig das Vergehen der Welt zu einer Weltflucht von Kirche und Christen führen soll, so wenig bedeutet die Hoffnung auf die neue Schöpfung eine billige Vertröstung auf bessere Tage.

Von dem Neuen scheint längst ein Licht in unsere alten Tage hinein. Es offenbart das, was wir längst wissen, es macht das stille Wissen sprechend.

Der 1. Johannesbrief macht unverblümt klar, dass das Leben im Licht des Glaubens aus der Kraft der Vergebung konkrete, handfeste Konsequenzen hat. Er formuliert es mit elementaren Worten: Wer behauptet, im Strahlkreis des Lichtes zu stehen, und doch seinen Bruder oder seine Schwester nicht liebt, der steht immer noch im Bannkreis der Finsternis. Bekenntnis und Liebe sind untrennbar miteinander verwoben. Der Glaube steht nicht für sich, die Kirche ist nicht einfach eine Kuschelgegenwelt gegen die raue Welt „da draußen“

Glaube und die Suche nach dem Lebensdienlichen gehören untrennbar zusammen. „Herz und Mund und Tat und Leben“ legen gemeinsam Zeugnis ab – ohne Furcht und Heuchelei. So hat es der Leipziger Johann Sebastian Bach in einer Kantate in Töne gegossen.[4]

Herz und Mund und Tat und Leben zeugen untrennbar von dem Geist, der trägt. Das gilt für jeden einzelnen von uns ebenso wie für eine Universität und eine Stadt. Deswegen ist es eben kein Angriff auf die Autonomie der Wissenschaft, wenn eine Universitätskirche und eine Universitätsgemeinde zum Kernbestand einer Universität gehören, ob in Leipzig oder in Heidelberg.

Herz und Mund und Tat und Leben spiegeln etwas von dem Licht wieder, das auf uns und unsere Lage scheint. Und das fängt schon mit der Art und Weise an, wie wir miteinander umgehen und einander achten und wertschätzen.

Wo wir auch den Kommilitonen im Seminar ertragen, der mit seinen Beiträgen nervt.

Wo wir in den universitären Gremien das offene Wort nicht scheuen, aber die gemeinsame Leidenschaft für die Sache im Eifer des Gefechts nicht zertreten und auslöschen.

Wo wir uns dem Menschen öffnen, der sich uns zaghaft und behutsam nähert – und so selbst etwas erfahren, von der Liebe, die uns entgegengebracht wird.

Für elitäre Selbstgerechtigkeit ist da allerdings kein Platz. Kein Platz für das Gefühl, in diese Welt nicht hineinzugehören. Überhebliches Abgrenzen und Einschließen in eine Gegenwelt verdunkelt das Licht der Hoffnung.

Aber Raum für Kritik und Selbstkritik – der wird erhellt von der Strahlkraft des göttlichen Lichts.

Wir wissen längst, was gut ist, denn es ist uns gesagt. Aber es bleibt ein lebendiges Geschäft, es uns immer wieder zu vergegenwärtigen.

 

Der lebendige Gott kommt uns dabei entgegen und macht selbst unsere zaghaften Versuche hell.

 

Dann könnte es ja sein, dass wir  

mutiger bekennen,  

treuer beten,  

fröhlicher glauben  

und brennender lieben.

Dazu begeistere uns der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.   

 

 

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Letzte Änderung: 21.03.2016
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