23.10.2011: Dr. Heike Springhart über Mk 10,17-27

 

Von den unmöglichen Möglichkeiten Gottes

Predigt über Mk 10,17-27 im Universitätsgottesdienst am 23.10.2011

 

Predigerin: Dr. Heike Springhart

 

 

Liebe Gemeinde,

Venedig, Giardini, Biennale 2011: Drei Buchstaben machen aus dem Monument teutonischer Protzigkeit einen Ort, der alles in Frage stellt, ja, der die entscheidende Frage stellt. E-G-O über den Eingang des deutschen Pavillons gesprüht. Aus Germania wird EGOmania. Die Frage, die über allem schwebt ist: „Was bleibt?“ Hinter dem Eingang des EGO-Mania-Pavillons betritt der geneigte Kunstliebhaber oder neugierig-eilige Tourist einen Kirchenraum der anderen Art. Eine „Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“. Gestaltet schon vor ein paar Jahren von Christoph Schlingensief und ein höchst persönliches Zeugnis seiner Auseinandersetzung mit dem eigenen drohenden Tod nach der Diagnose: Lungenkrebs. Die eigentlichen Pläne Schlingensiefs für den deutschen Biennale-Pavillon konnten nicht mehr verwirklicht werden, der Tod hat ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Was bleibt? Was soll ich tun, dass etwas bleibt? Für Schlingensief war die Antwort darauf, den Bau eines Operndorfes in Burkina Faso in Gang zu setzen. Für viele ein Ding der Unmöglichkeit – er hat es angepackt, gebaut und geplant, dem Sterben zum Trotz.

 

Was bleibt? Was soll ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?

Mit dieser Frage hielt ein junger Mann Jesus auf dem Weg auf. Der Evangelist Markus erzählt von ihm: [Mk 10,17-27]

Als er sich auf den Weg machte, lief einer herbei, kniete vor ihm nieder und fragte ihn:

Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe? Aber Jesus sprach zu ihm:

Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein. Du kennst die Gebote: »Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst niemanden berauben; ehre Vater und Mutter.« Er aber sprach zu ihm: Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf. Und Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb und sprach zu ihm: Eines fehlt dir. Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach!

Er aber wurde unmutig über das Wort und ging traurig davon; denn er hatte viele Güter.

Und Jesus sah um sich und sprach zu seinen Jüngern: Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen! Die Jünger aber entsetzten sich über seine Worte. Aber Jesus antwortete wiederum und sprach zu ihnen: Liebe Kinder, wie schwer ist's, ins Reich Gottes zu kommen! Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme. Sie entsetzten sich aber noch viel mehr und sprachen untereinander:

Wer kann dann selig werden? Jesus aber sah sie an und sprach:

Bei den Menschen ist's unmöglich, aber nicht bei Gott;  denn alle Dinge sind möglich bei Gott.

 

Da ist einer besonders emsig und hat es besonders eilig. Rastlos kommt er mir vor, dieser Mensch. Getrieben von dem Gefühl: das, was ich tue, reicht nicht! Alles, was richtig und wichtig ist, tut er längst. Er führt ein Leben – gottgefällig, angepasst und rastlos. Immer die großen Ziele im Blick, getrieben vom Hunger und der Sehnsucht nach mehr. Immer mehr, immer weiter – auf der Suche nach dem ewigen Leben. Die reine Grenzenlosigkeit. Der Stoff, aus dem Burnouts gestrickt sind. Angetrieben von einem lebendig lodernden Feuer, das hohen und ehrenwerten Zielen nachjagt. Was soll ich tun?

Rüde und zugleich heilsam weist Jesus ihn zurück. Niemand ist gut als Gott allein. Zum Menschsein gehören Grenzen und Endlichkeit. Auch zum Menschsein Jesu. Er weist es zurück, messianische Geheimtipps zur Erlangung des ewigen Lebens zu geben. Für das ewige Leben etwas zu tun ist unmöglich. Bei den Menschen und für uns Menschen. Und doch gehört zum Glauben das Handeln – Leitlinien dafür geben die 10 Gebote. Worte des Lebens und der Begrenzung menschlicher Willkür.

Du sollst nicht töten – du hast kein Recht, die Grenzen zum anderen gewalttätig zu überschreiten. Weder indem du seine Seele tötest, noch indem du sein Leben auslöschst.

Du sollst nicht ehebrechen – du sollst das Vertrauen und die Verletzlichkeit der Liebe nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, sondern auch hier: Grenzen wahren.

Du sollst nicht stehlen und niemanden berauben – zum Schutz der Persönlichkeit des anderen gehört der Schutz seines Eigentums, des geistigen wie des materiellen.

Alle Gebote hat er gehalten, von Jugend auf – der Mensch, der da bei Jesus am Wegesrand kniet. Alles richtig gemacht. Mit Bravour alle Schul- und Studienabschlüsse absolviert. Den Eltern nur Freude und den Lehrern und Dozierenden nie Ärger. Daneben noch ehrenamtlich engagiert und im richtigen Moment geheiratet und eine Familie gegründet. Alles richtig, alles wie es sein soll und immer ein neues, nächstes Ziel vor Augen. Bloß kein Stillstand! Was gesegneter Reichtum von Gaben ist, birgt auch seine Tücken in sich. Die Leiter nach oben, die Suche nach Antworten auf die Frage: was soll ich noch tun? Wo will ich noch hin und was sind meine Träume – das ist mehr eine Sache der Sehnsucht und weniger eine der Planungen und Strategien.

Jesus führt es seinen Jüngern und uns vor. Meisterhaft und sensibel. Er nimmt die Frage des jungen Menschen auf und ernst und zeigt ihm doch die Unmöglichkeit, die darin liegt plastisch auf. „Verkaufe alles, was du hast und folge mir nach!“ Und der junge Mensch? Er könnte ja froh sein, dass er endlich den Schlüssel zum himmlischen Erfolg hat, den er so lange gesucht hat. Könnte mit großer Geste alles verkaufen – wer braucht noch irdische Güter, wenn er himmlische Schätze gewinnen kann?! Weg mit den irdischen Schätzen! Weg mit iphone und Auto, weg mit den über Jahre angehäuften Büchern, weg mit dem Familiensilber… aber halt: so einfach ist die Pointe nicht. Schließlich wäre das bei genauerem Hinsehen auch nur eine Fortsetzung des „immer mehr und immer besser“.

Der junge Mensch geht traurig davon, denn er hatte viele Güter. Alles verkaufen, das ist mehr als frommer Flohmarkt, mehr als simplify your life. Hüten wir uns hier vor einem schnellen Armutsideal – bei aller berechtigter Kritik an maßloser Gier - und schauen noch einmal genauer hin.

Schauen wir genauer auf die Güter, die unseren persönlichen Haushalt und gelegentlich unsere Umzugskisten füllen. Ein durchschnittlicher deutscher Haushalt besitzt 10 000 Gegenstände – manche davon notwendig, funktional oder wenigstens nützlich, manche wertvoll und Reichtümer, manche weder das eine noch das andere: sie dienen weder dazu, den Alltag zu bewältigen wie Messer und Gabel – noch dazu, den gesellschaftlichen Status zu demonstrieren wie Haus, Auto, Boot – oder auch die liebevoll gepflegte und beeindruckend inszenierte Bücherwand.

Diese weder nützlichen noch prestigehaltigen Gegenstände, diese Habseligkeiten sind Schätze mit symbolischem Wert und gerade darin höchst persönlich und wertvoll. Das Stück Treibholz, das ich am Strand Südafrikas gefunden habe, der Ehering des verstorbenen Partners, das Schmuckstück, das die Großmutter der Enkelin vermacht hat.

Für mich wurde der alte Kolben aus dem Motor des ersten Autos meines Vaters – einem Fiat 500 vor über 40 Jahren – zu einer solchen Habseligkeit. Schon immer stand dieses Stück Metall, das in meinen unwissenden Augen einer Dose mit Vogelhäuschenloch glich, auf dem Regal bei uns zu Hause. Nie habe ich mich gefragt, was das ist. Es war immer da. Vor kurzem habe ich mir selbst ein solches Auto gekauft – und mein Vater hat mir feierlich den Kolben überreicht. Er hatte einst bei einem Überholmanöver und übermütig schneller Fahrt den Dienst quittiert. Für andere ein Stück Schrott. Für meinen Vater eine Erinnerung an den Zauber der ersten Freiheit mit dem ersten Auto, die er über all die Jahre und einige Umzüge bewahrt hat. Ich werde ihn weiter bewahren, mein Auto hat das Kennzeichen des ersten Autos meines Vaters bekommen.

Hab-Seligkeiten stehen für das, was ich bin und woran ich hänge. Und sie bleiben und überdauern mich. Und sie erzählen eine Geschichte, die meine eigenen Grenzen übersteigt und nehmen mich mit hinein. Wenn ich zum Beispiel in dem bei ebay ersteigerten theologischen Buch den in Sütterlin-Schrift eingetragenen Namen des Vorbesitzers lese und das Jahr, in dem er es anschaffte: Wintersemester 1936/37. Ich kenne den Mann, vermutlich ein Pfarrer, nicht. Aber es rührt mich an, dass dieses Buch dessen Theologenleben begleitet hat und mir jetzt neue Erkenntnisse ermöglicht.

Hab-Seligkeiten gehören zu meinem Leben wie Gebrauchsgegenstände. Es mag sein, dass der junge Mensch, der mit Jesus im Gespräch ist, weniger hat als wir, aber auch er ging traurig davon.

Wie schwer ist’s! Die Antwort auf die Frage: „Was soll ich tun, um das ewige Leben zu ererben?“ ist eine radikale und darin unrealistische Forderung. „Wie schwer werden die Reichen ins Reich Gottes kommen?“ – hier könnten sich die am Armutsideal und als Wanderprediger sicher nicht mit besonders viel Wohlstandsballast ausgestatteten Jünger in frommer Selbstgerechtigkeit die Hände reiben. Haben sie es nicht schon längst gewusst? Sie, die Jesus nachfolgen. Die sich radikal der guten Sache im Weinberg des Herrn verschrieben haben. Auf dem richtigen Weg – sozusagen auf dem Highway to heaven! Eben nicht! Anstatt sich zufrieden zurückzulehnen, entsetzten sie sich über Jesu Worte. Vermutlich weil sie ahnen: hier geht es nicht um eine reiche Elite, um ein paar Großbankenmanager, derer Gier für uns Normalsterbliche so unerreichbar ist, dass sie leicht anzuprangern sind. Hier geht es um die Unmöglichkeit für uns alle, ungebremst auf dem Weg ins Reich Gottes aus eigener Kraft und eigenem Verdienst zu stapfen. Als Jesus die Frage wiederholt, spricht er nicht mehr nur von den Reichen. „Liebe Kinder, wie schwer ist’s, ins Reich Gottes zu kommen!“ Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr!

„Wer kann dann selig werden?“ Wer kann einen Schatz im Himmel erlangen, wenn er von sich aus alles hier selbst aufgeben muss? Wer kann all das tun, was nach menschlichem Ermessen, zu tun ist? Es ist ja nie genug. Es bleibt ja immer etwas zu tun. Der Ego-Mania sind Tür und Tor geöffnet. Genug ist nicht genug!

Diesen Kreislauf von immer mehr tun und dem ewigen Getriebensein auf der Suche nach dem gelingenden Leben hier und dem ewigen Leben dort bricht Jesus auf. Auf die Frage der Jünger – wer kann dann selig werden? – gibt es zunächst einmal nur eine Antwort: Niemand!

So sicher wie nie ein Kamel durch ein Nadelöhr passt,

so sicher wie mein Leben nicht losgelöst von meiner Geschichte, die sich auch in meinen Habseligkeiten wiederspiegelt, zu denken ist,

so sicher wie es immer noch mehr zu schreiben, zu lernen, zu entdecken, zu erarbeiten gibt,

so sicher ist es, dass ich es nicht in der Hand habe, das ewige Leben zu erlangen.

Bei mir, bei den Menschen ist das unmöglich. Mein Leben und meine Möglichkeiten sind endlich und begrenzt. Auch auf den geraden Wegen gibt es Scheitern und Abbrüche.

Unbegrenzt und unendlich jedoch ist die Sehnsucht nach dem Ewigen – Sehnsucht ist auf das Unerfüllte und manchmal auch auf das Unerfüllbare gerichtet. Sie hält die Spannung unseres Glaubens wach, dass es gegen allen Anschein unmögliche Möglichkeiten Gottes gibt.

So unmöglich es ist, dass ich mir das ewige Leben erarbeite,

so sehr ist es bei Gott möglich – und mir verheißen – dass er es mir schenkt.

Mit der Taufe ist uns allen das ewige Leben geschenkt. Wir haben es längst.

Die Sehnsucht ändert alles – auch meine Haltung zum Leben.

Die Sehnsucht hatte den todkranken Christoph Schlingensief ein kulturelles Großbauprojekt in Afrika anfangen lassen.

Das ewige Leben und die Unendlichkeit ist keine egomanische Größenphantasie.

Es lässt sich erbitten und in Gottes Hände legen. Ach Herr, lass dein lieb Engelein, am letzten End die Seele mein in Abrahams Schoß tragen.

Das rückt manch vermeintlichen Reichtum und manch vermeintlich höchstes Ziel im Leben in ein neues oder gar das rechte Licht und in seine Grenzen, aber es löscht nicht die Kostbarkeit unserer Habseligkeiten aus.

So werde ich befreit von der ewigen Frage: Was soll ich tun?

Allen Wahrscheinlichkeits- und Möglichkeitsrechnungen zum Trotz lasse ich mir das heute sagen:

Bei den Menschen ist so vieles unmöglich – das ist unsere manchmal schmerzhafte und manchmal heilsame Grenze.

Aber bei Gott sind alle Dinge möglich – das ist unsere manchmal unbefriedigende und manchmal tröstende Hoffnung.

 

Dazu gebe uns Gott langen Atem und Segen, der höher ist als all unsere Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Webmaster: E-Mail
Letzte Änderung: 29.11.2011
zum Seitenanfang/up